Okinadvent – 18. Türchen

Die letzte Hakkero ist entflammt, und damit löst sich auch der letzte Teil der Geschichte von Ine und Naonari aus der Finsternis des Unbekannten.

Was vorher geschah …

Die Wölfe und die Wiederkehr

Tagelang wanderte Ine durch Landstriche von Gensoukyou, die schon lange kein Mensch mehr betreten hatte, stets auf dem Weg nach Norden, getrieben von dem unbändigen Wunsch, Naonari wiederzufinden. Am Horizont erschien ein Berg, und war lange das einzige Anzeichen dafür, dass sie überhaupt Fortschritte auf ihrem Weg machte. Von Tag zu Tag wurde es kälter, und Ine hätte sicherlich längst aufgeben müssen, wäre da nicht die Ausrüstung, die die Frau im einsamen Haus ihr mitgegeben hatte. Darunter waren neben reichlich Proviant ein Zelt aus einem wundersamen Stoff, so leicht wie Seide, aber warm wie eine dicke Wolldecke, sowie ein Topf, aus dessen Oberseite Flammen entsprangen, wenn man an einem Rad drehte, und auf dem Ine sich jeden Morgen und Abend mit der Kräutermischung, die sie ebenfalls im Rucksack fand, und dem immer höher werdenden Schnee um sie herum einen Tee kochte.

Doch trotz alledem gingen diese Tage der Wanderschaft nicht spurlos an der jungen Ine vorüber. An jedem Abend fühlte sie sich erschöpfter als am Abend zuvor, und während sie durch die verschneite Landschaft tappte verlor sie sich immer wieder in ihren eigenen Gedanken, sodass sie unaufmerksam wurde und mehrmals überhaupt nicht merkte, dass die Sonne ihren Zenit bereits überschritten hatte. Aus eben solch einem Moment gedankenlosen Schlurfens wurde sie eines Tages aufgeschreckt, als jemand nach ihr rief. Erschrocken blickte sie sich um, denn eine menschliche Seele war das Letzte, was sie in der Einöde erwartet hätte. Aber tatsächlich fand sie nach einem weiteren Ruf dessen Quelle, denn zu ihrer Rechten trat jemand zwischen den Bäumen am Berghang hervor. Viele Einzelheiten konnte das Mädchen nicht ausmachen, denn die Gestalt war in einen dicken Mantel gehüllt, und ihre grauen Haare hingen ihr wirr ins Gesicht, doch schien sie trotz ihres kräftigen Gangs wahrlich alt zu sein. Als sie näher gekommen war, sprach die Frau Ine mit einer tiefen, samtigen Stimme an: „Sag, was treibt dich in mein Territorium, mitten im Winter? Weißt du denn nicht, dass es gefährlich hier ist?“ „Ich bin auf der Suche nach meinem Freund, Naonari“ brachte Ine schließlich über ihre halb gefrorenen Lippen. „Hm… dein Freund, sagst du? So, wie du hier durch die gefrorene Steppe geisterst, wirst du ihn kaum finden. Komm doch erst einmal mit mir, ich teile gerne diese Nacht meine Hütte mit dir, und morgen suchen wir deinen Freund gemeinsam.“ Dankend nahm Ine das Angebot an, wobei ihr nicht das verschlagene Grinsen auffiel, das sich auf das Gesicht der Frau legte, als sie dem Mädchen die Hand auf die Schulter legte, um sie zu führen.

Die Hütte am Fuße des Berges war ein eigenartiges Gebäude. Das runde Dach reichte bis zum Boden und war mit übergroßen, hölzernen Schindeln gedeckt, die sich auf eine seltsame Weise überlappten, sodass es von der Seite beinahe aussah wie der Körper eines riesigen, schuppigen Tieres. Ihre Gastgeberin schob Ine durch die niedrige Tür, bevor sie sich selbst in den einzigen Raum der Hütte zwängte und sich ihres Mantels entledigte. Darunter war sie in Schichten dicker, aber zerfetzter Gewänder gehüllt, deren Farbe gleich einem Sonnenuntergang von oben nach unten von einem satten Gelb zu einem rosigen Rot übergingen. Ohne ein Wort wies sie Ine an, auf einem wackeligen Schemel am Tisch Platz zu nehmen, während sie selbst das Kochfeuer entfachte, über dem bereits ein Kessel hing, der augenscheinlich mit Eintopf gefüllt war. Während des Essens schilderte Ine ihre Geschichte in allen Einzelheiten, während ihre Gastgeberin aufmerksam zuhörte, und ihr am Ende versicherte, dass sie morgen zusammen nach Naonari suchen würden. Anschließend rollte sie einen grob geknüpften Teppich aus, der Ine als Schlafstatt dienen sollte, bevor sie selbst zu Bette ging.

So erschöpft Ine auch war, fand sie in dieser Nacht keinen Schlaf, denn ihre Gastgeberin schnarchte ganz unsäglich. So schlich sie sich ans Fenster, und beobachtete die Wolken dabei, wie sie am beinahe vollen Mond vorbeizogen. Plötzlich meinte sie, eine Bewegung in der verschneiten Landschaft ausmachen zu können, und bei genauerer Betrachtung erkannte sie einen weißen Wolf, der in Windeseile auf die Hütte zugerannt kam. Kurz überlegte sie, ob sie die Eigentümerin wecken sollte, aber gab den Gedanken in Anbetracht ihres offensichtlich sehr tiefen Schlafes schnell auf. So kauerte sie sich in ihrem Teppich zusammen und versuchte, ihr pochendes Herz zu beruhigen. Jenseits der Schindeln hörte sie, wie der Wolf an der Hütte entlang striff, bevor sie eine Stimme vernahm. „Kleines Mädchen, hörst du mich?“ Vor Anspannung hielt Ine den Atem an. „Kleines Mädchen, bitte antworte mir! Du bist in Gefahr! Diese Hütte gehört einer Berghexe. Ich habe beobachtet, wie sie dich hierher geführt hat. Sie meint es sicher nicht gut mit dir.“ Jetzt, wo der Wolf es so klar aussprach, erinnerte sich Ine wieder an die alten Geschichten, die Naonaris Großmutter den Kindern erzählt hatte. „Aber was soll ich tun?“ wisperte sie vorsichtig zur Wand hin. „Nimm deine Sachen und schleiche dich heraus. Ich werde dich weit weg von hier bringen.“

Verunsichert blickte Ine zwischen dem Bett und der Wand hin und her. Sollte sie einem Wolf eher trauen als der Frau, die so freizügig ihre Hütte mit ihr teilte? Zwar passte die Beschreibung, die die Großmutter zu Berghexen gegeben hatte, ziemlich genau auf ihre Gastgeberin, doch wie sie so in ihrem Bett lag, konnte das Mädchen in ihr keine Boshaftigkeit entdecken. Schlussendlich gab sie sich einen Ruck, zog sich an und nahm ihre Tasche, schrieb aber mit einem Stück verkohlten Holzes noch eine kurze Nachricht auf die Außenseite des Kessels, dass sie für die Gastfreundschaft dankte, aber selbst weitergezogen war. Daraufhin öffnete sie vorsichtig die Tür und trat auf die verschneite Ebene hinaus, wo der Wolf sie bereits erwartete. „Steig auf meinen Rücken, ich bringe dich in Sicherheit“ sprach er. „Bitte, bringe mich nach Norden,“ erwiderte Ine, „ich suche dort nach meinem Freund.“ Für einen kurzen Moment schien der Wolf zu zögern, bevor er nickte. „Nach Norden also. So sei es.“ Kaum war Ine auf seinen Rücken gestiegen, rannte der Wolf schon los, schneller, als das Mädchen es sich je hätte träumen lassen. Im Licht des Mondes verschmolz sein weißes Fell beinahe mit dem sie umgebenden Schnee, und trotz der Geschwindigkeit war sein Lauf so ruhig, dass Ine den Eindruck hatte, sie würde schweben, und bald war sie eingeschlafen.

Als Ine erwachte, lief der Wolf immer noch, doch die Landschaft hatte sich drastisch verändert. Um die beiden herum erstreckte sich Bambus, so weit das Auge reichte, und nur, wo die Stangen besonders weit auseinander standen, hatte der Schnee den Boden erreichen können. „Sag, wohin bringst du mich?“ rief sie, woraufhin der Wolf erwiderte „Ich kann weit über das Land blicken, doch deinen Freund finde ich nicht. Wir werden Hilfe brauchen, um ihn zu retten.“ Nach wenigen Minuten verlangsamte der Wolf seine Schritte, und Ine spürte, dass es plötzlich erstaunlich warm wurde. Schließlich blieb er vor eine Frau stehen, die die beiden Neuankömmlinge mit in die Taschen ihrer Hose gesteckten Händen schräg anblickte. „Oho, ein Mensch, hast du dich etwa verlaufen? Und du, Tengu, was treibt dich hierher, so fern von eurer Bergkolonie?“ Bevor Ine antworten konnte hatte der Wolf schon angesetzt, die Situation in knappen Worten zu erklären. So rutschte sie von seinem Rücken und begann, sich aus ihrem Proviant etwas Frühstück zuzubereiten, während die beiden weiter redeten.

„Ich denke, du weißt was es bedeutet, wenn du ihren Freund in dieser Welt nicht finden kannst, Tengu? Euch steht eine gefährliche Reise bevor.“ „Das weiß ich, doch ich habe eingewilligt, ihr zu helfen. Bitte, weise mir den Weg. Ich bin sicher, du kennst ihn.“ Lächelnd schüttelte die Bewohnerin des Bambuswaldes den Kopf, und erzählte dem Wolf von einer Höhle, an deren tiefstem Punkt das Tor zu einer anderen Welt liege, und das sie durchqueren mussten. Jenseits des Dorfes soll eine Stadt liegen, die sie nicht betreten durften, sondern weiterreisen müssten, bis sie eine Eiswüste erreichten. Inmitten dieses trostlosen Ortes befände sich die Festung der Herrin, die die Seelen der Erfrorenen bindet und ihnen ein zweites Leben unter ihrer Kontrolle gibt. „Ich danke dir,“ sprach der Wolf, „aber kannst du ihr nicht weiter helfen? Du bist eine mächtige Magierin. Du gebietest über Feuer und Leben. Sicher kannst du ihr die nötige Kraft geben, diese Reise zu überstehen.“ „Mächtig mag ich sein, aber das kann ich nicht. Siehst du es nicht? Ihr Herz ist so rein und unschuldig, ein jeder liebt sie und gibt sein Bestes, ihr zu helfen. Nichts, was ich ihr bieten könnte, ist stärker als das. Riskierst du nicht auch viel, schließlich wird diese Reise von eurem Tenma kaum genehmigt worden sein. Bleibe niemals stehen, bis ihr die Festung erreicht habt, aber lass sie alleine eintreten. Das ist alles, was wir tun können.“

Ine hatte inzwischen ihre Mahlzeit beendet, und trat auf die beiden zu, nachdem sie eine Bambussprosse ausgegraben und in die Jacke gesteckt hatte, um sie später zu essen. Die Magierin winkte Ine und dem Wolf zum Abschied zu, und kaum war der Wolf losgelaufen, umschloss die beiden wieder die eisige Winterkälte. Als sie die beschriebene Höhle erreicht hatten, wies der Wolf seine Reiterin an, zu schweigen, und den Blick nur nach vorne zu richten, bis sie ihr Ziel erreicht hatten. Sie tat wie ihr geheißen, und so flogen die beiden förmlich durch die dunklen Gänge und durchquerten das Tor zwischen den Welten, ohne dass jemand sie hätte aufhalten können. Entlang ging es an einer wunderbar-schrecklichen Stadt, viel größer als das Menschendorf, doch Ine hielt ihrer Neugier stand und blickte weiter geradeaus. Die Luft in der Eiswüste war so kalt, dass sie in der Brust stach, und Ine legte sich auf dem Rücken des Wolfes hin und schlang sanft ihre Arme um seinen Hals, um ihn zumindest ein wenig zu wärmen. So erreichten sie bald eine Festung, die so aussah, als wäre sie gänzlich aus Blöcken von tiefblauem Eis errichtet worden. Da blieb der Wolf stehen und setzte seine Reiterin ab. „Den Rest des Weges musst du alleine gehen. Ich werde hier auf dich und deinen Freund warten.“ So legte er sich hin und ruhte sich aus, während Ine die Tore der Festung aufschob.

Im inneren erwartete sie ein wahres Labyrinth aus hohen Gängen und Kammern, deren Wände mit seltsamen Reliefs verziert waren. Mit jedem Schritt, den Ine ging, drang die Kälte tiefer in ihren Körper ein, und ließ ihre Glieder nach und nach steif werden. Endlich erreichte sie eine riesige Halle, auf deren gegenüberliegenden Seite ein weiteres Tor zu erkennen war. Doch gerade, als sie die Halle betrat, spürte sie einen eisigen Wind aufwallen, und aus dem Nichts bildeten sich in der Luft Eiskristalle, die bald zu übermenschlicher Größe gewachsen waren, und sich bedrohlich auf sie zu bewegten. Manche davon nahmen die Form von gerüsteten Kriegern an, deren Schwertklingen angsteinflößend glänzten, andere erwuchsen zu riesigen Schlangen mit gefährlich langen Zähnen, die ihre Köpfe immer wieder vorschnellen ließen, und wieder andere verwandelten sich in unbeschreibliche Abscheulichkeiten, die nur einem düsteren Albtraum entsprungen sein konnten. Ine wich zurück, und wollte die lebenden Eiskristalle anflehen, sie weitergehen zu lassen, als sie ein rotes Leuchten in der Tasche ihrer Jacke bemerkte. Sie griff hinein, und zog die Bambussprosse heraus, die sie sich mitgenommen hatte. Die Spitze war aufgesprungen, und offenbarte eine prächtige Rosenblüte, von der das wärmende Licht ausging. Als es auf die vordersten Eiskreaturen fiel, begannen diese zu schmelzen und zu dampfen, bis außer zarten Nebelschwaden nichts mehr von ihnen übrig war. Die anderen Eiskristalle wichen zurück, und auch die Kälte in Ines Knochen wirkte weniger beißend, sodass sie ihren Weg durch die Halle fortsetzen konnte.

 

Jenseits des folgenden Korridors saß Naonari bewegungslos auf dem Boden. Er war umringt von Scherben aus Eis, deren Bruchkanten unmöglich komplex waren, und jedes Stück sah in seiner Gesamtheit aus wie ein Teil eines anderen. Mit seiner ganzen Kraft dachte der Junge nach. Seine Meisterin war fort, und sie hatte ihm aufgetragen, aus den Scherben, die in diesem Raum lagen, das Wort Unendlichkeit zu bilden. Sollte er dies vollbringen, würde sie ihm seine Freiheit und die ganze Welt schenken. Doch so lange Naonari es auch versuchte, es gelang ihm einfach nicht, die Scherben richtig zusammenzufügen, zu weit überstiegen die unendlich feinen Details dieser perfekten Fragmente seinen Verstand. So kniend und blau gefroren fand Ine ihren Freund vor. Überglücklich wollte sie auf ihn zulaufen, aber blieb nach einigen Schritten stehen. Naonari hatte nicht einmal zu ihr aufgeblickt, so als würde er sie überhaupt nicht erkennen. Ine ließ die blühende Bambussprosse fallen, und ging langsam auf ihren Freund zu, bis sie schließlich vor ihm auf die Knie sank. Sollte etwa ihre ganze Reise umsonst gewesen sein? Vor Verzweiflung begann sie zu weinen, und vergrub das Gesicht an der Brust ihres Freundes, der nach wie vor teilnahmslos dasaß. Doch da geschah etwas Wunderbares. Ines heiße Tränen wärmten Naonaris gefrorenes Herz, und spülten auch den Splitter des Zauberspiegels davon, der es hatte erstarren lassen. Endlich erkannte er seine Freundin, und begann ebenfalls zu weinen. „Oh Ine, meine liebe Ine, wo warst du nur? Und wo war ich nur all diese Zeit?“ Und so löste sich auch der Splitter aus seinem Auge, während Ines Tränen der Verzweiflung zu Freudentränen wurden, und die Kinder schlossen sich gegenseitig in die Arme.

Als sie sich schließlich wieder losließen, blickte Naonari sich um. „Was für ein garstiger Ort, wie trostlos und leer es hier ist, und wie klein man sich vorkommt. Hier möchte ich nicht bleiben.“ Als die Kinder aufstanden bemerkten sie, dass die eisigen Bruchstücke sich wie von selbst bewegten und über die spiegelglatte Oberfläche zu gleiten begannen. Doch das war alles egal, und so hatten die beiden die Halle längst verlassen, als die Scherben schließlich zum erliegen kamen, eben so, dass sie das Wort Unendlichkeit bildeten. Gemeinsam durchschritten sie die Korridore, die nun nicht mehr ganz so abweisend wirkten, und fanden sich bald am Eingangstor wieder, wo der weiße Wolf bereits auf sie wartete. Zu zweit waren die Kinder deutlich schwerer, doch er ignorierte seine schmerzenden Muskeln und die Pfoten, die vom Laufen auf Eis und Fels schon ganz wund waren, und gemeinsam erreichten sie den Höhleneingang, als gerade der Vollmond aufging.

Dort machten sie kurz Rast, und Ine erzählte Naonari von all den Leuten und Kreaturen, denen sie auf der Suche nach ihm begegnet war, und die ihr so geholfen hatten. Außerdem teilte Ine die letzten Vorräte zwischen ihren beiden Kameraden auf, und kochte auch etwas Tee, damit sie sich stärken konnten. Als sie ihr Mahl beendet hatten, näherte sich ein zweiter Wolf dem Höhleneingang. Schwarz wie die Nacht war der Neuankömmling, und kratzte sich hinter den Ohren, als würde er sich in seinem eigenen Fell nicht ganz wohl fühlen. Die Feuermagierin des Bambuswaldes, sagte er, habe ihn gebeten, hierher zu kommen und den Kindern auf ihrer Heimreise zu helfen. So teilten sie sich auf, Ine kletterte wieder auf ihren treuen Begleiter, der durch das Essen und den Tee erneut gut zu Kräften gekommen war, und der Neuankömmling ließ Naonari auf sich reiten. So setzten sie ihre Reise fort, deutlich langsamer zwar, denn der schwarze Wolf konnte bei weitem nicht so schnell und ruhig laufen wie der Tengu, doch trotzdem bezwangen sie so ein Vielfaches des Weges, den Ine zu Fuß an einem Tag hatte zurücklegen können. Der Morgen dämmerte beinahe, als sie erneut anhielten. Ine und Naonari bedankten sich herzlich bei ihren beiden Begleitern, bevor diese aufbrachen, um in ihre Heimat zurückzukehren; Der eine auf den Berg, der andere in den Bambuswald. Mit Naonaris Hilfe baute Ine ihr Zelt auf, und eng aneinandergeschmiegt schliefen die beiden, bis die Sonne sich bereits zum Nachmittag wieder dem Horizont entgegen neigte.

Als sie das Zelt verließen, um die letzte Etappe ihrer Reise anzutreten, bemerkten sie, dass Tauwetter eingesetzt hatte, und der Winter sich dem Ende zuneigte. Zum ersten Mal blickten sie sich jetzt auch im Tageslicht an, und erkannten, wie viel sie doch gewachsen waren. Mehr als ein Jahr war vergangen, seit Naonari dem Bann der Schneefrau verfallen war, die ihn in die Festung am Ende der Welten gebracht hatte. Sie reisten weiter, und kurz vor Sonnenuntergang erblickten sie die Rauchfahnen, die aus den Kaminen des Menschendorfes aufstiegen, und bewältigten die restliche Strecke im Laufschritt. Durch das geschäftige Treiben in den Straßen und Gassen schlängelten sie sich zu ihren Häusern und erklommen die Treppen. In den kleinen Wohnungen war alles, wie es sein sollte. Die Großmutter saß strickend in ihrem Schaukelstuhl, und war überglücklich, die beiden Kinder wieder zu sehen. Sie erzählten ihr die abenteuerliche Geschichte dessen, was sich im letzten Jahr ereignet hatte, und nahmen sich fest vor, irgendwann noch einmal all die Leute zu besuchen, denen Ine auf ihrer Suche begegnet war. Während der Abend in die Nacht überging, und der Trubel im Menschendorf zur Ruhe kam, bildeten sich unbemerkt die ersten Knospen an den kahlen Rosensträuchern, die in den Kisten vor den Fenstern standen.

Ende