Okinadvent 2023 – 17. Türchen

Und hier ist der vorletzte Teil von Vegos Touhou-Märchen!

Drei übervorsichtige Töne

Der Tag neigte sich bereits dem Ende zu, und die ersten Sterne waren am Himmel zu sehen, als Sagako und Harukazu sich dem Haus der Fleischerin näherten. Sie hatten große Angst, doch sie wussten, dass sie Fleisch brauchten, damit ihre Großtante daraus eine Brühe kochen und wieder zu Kräften kommen konnte. Dies war ihre einzige Möglichkeit, und sie ängstigten sich vor dem Schicksal, das sie andererseits erwarten würde. Die Hütte sah außerdem recht einladend aus. Warmer Feuerschein drang durch die mit weißen Gardinen verhangenen Fenster, in denen Würste hingen und Pasteten auf schmalen Brettern einladend drapiert waren. Neben der Tür hing außerdem die metallene Skulptur eines Drachen an der Wand, auf dessen Schuppen sich das Licht des Feuers hinter ihm und dem zwischen den Zweigen herab leuchtenden Mondschein über ihm abwechselten. Die Kinder waren hungrig und wünschten sich in diesem Moment nichts mehr, als etwas von den Pasteten zu essen und sich am Kaminfeuer zu wärmen. Trotz der Warnung und ihrer eigenen Angst hielten sie an ihrer Absicht fest. Sie würden zum Laden gehen, etwas Essen kaufen, und Fleisch für ihre Großtante mitnehmen.

Doch bevor sie sich dem Laden weiter näherten dachten sie sich, um sicher zu gehen, dass es eine gute Idee wäre, auf ihren Flöten zu spielen, wie die Puppenmeisterin ihnen gesagt hatte. So würde man wissen, dass sie in Gefahr waren, und könnte ihnen zur rechten Zeit beistehen. So standen sie eine Weile in den Schatten der großen Bäume und bereiteten sich darauf vor, zusammen die Flöten zu spielen. Harukazu gab das Signal und spielte einen langen, sanften Ton. Doch Sagakos kalte Finger gehorchten ihr nicht, und noch bevor sie einen Ton herausbringen konnte, hatte Haruakzu sein Spiel bereits beenden müssen, völlig außer Atem. „Spiel jetzt nicht, du bist zu spät!“ wies Harukazu seine Schwester an, doch Sagako blies trotzdem in die Flöte, wie es ihr gesagt wurde, noch bevor ihr Bruder sie aufhalten konnte. Der war sehr erbost, und war sich sicher, dass nun alle Möglichkeit für Rettung vertan war, da zwei Töne erklungen sind. Dem zum Trotz betrat er zusammen mit seiner Schwester die Hütte, deren Tür zur Überraschung der beiden nicht verschlossen war.

Die Fleischerin war daheim, in edle Seide gekleidet saß sie vor dem prasselnden Kamin. Niemand sonst war zugegen, und alles war sehr ruhig. Die Frau war erfreut über den Besuch der Kinder, und wies sie an, auf den Fellteppichen vor dem Kamin Platz zu nehmen und sich aufzuwärmen. Dann brachte sie ihnen Essen und rauchte genüsslich ihre Tabakpfeife, während die Kinder ihre Geschichte vortrugen. Dann erzählte sie von den Bergen, in denen sie im Sommer von einem Haus zum anderen wanderte und dort den Bewohnern Spielspaß und Kurzweil brachte. Im Raum machte sich eine solch behagliche Stimmung breit, dass die Kinder bald ihre Sorgen vergaßen, obschon sie wohl bemerkt hatten, dass die Frau die Eingangstüre hinter ihnen verschlossen hatte. Als sie gegessen und sich aufgewärmt hatten baten die Kinder um etwas gutes Fleisch für ihre Großtante, und die Fleischerin erwiderte, dass sie ihnen genug Fleisch geben würde. Doch dieses Fleisch war sehr rar in diesem Teil der Welt, wie sie sagte. In einer Ecke der Stube stand ein verschlossener Bottich, und hoch oben auf einem der Regale befand sich ein kleineres Fässchen. In beiden befand sich edles Fleisch, das in Salzlake eingelegt war.

Nun war die Fleischerin in Wahrheit mit einer boshaften Youkai im Bunde. Die Lieblingsspeise dieser Youkai waren zarte, junge Kinder, und nichts mochte der sie lieber, als die Kinder am einem Stück zu verschlingen, nachdem sie in Salzlake gereift waren. Die Youkai war eine großartige Jägerin, und konnte mit Leichtigkeit eine Menge Tiere erlegen und sich an ihrem Fleisch nähren, doch viel Freude hatte sie daran nicht. Einmal pro Woche stattete sie der Fleischerin daher einen Besuch ab, um ihr erjagtes Wild gegen verarbeitetes Fleisch zu tauschen. Und die Fleischerin wusste, dass die Youkai ihre gesamte Jagdbeute und auch die Beute der kommenden Woche dafür eintauschen würde, wenn sie im Gegenzug Kinderfleisch erhielt. So bekam die Fleischerin viel Fleisch zu einem vernachlässigbaren Preis. Und die Puppenmeisterin hatte recht als sie sagte, dass Kinder, die der Fleischerin begegneten, manchmal nie wieder gesehen wurden. Die Fleischerin war erfreut, denn sie erwartete den Besuch der Youkai noch am selben Abend, und dachte bereits an das Geld, das sie mit dem Fleisch der Youkai verdienen könnte. Also entschloss sie sich, die Kinder zu töten und einzulegen und mit der Youkai zu verhandeln, wenn sie kommt.

Als die Kinder aufgegessen hatten fiel ihr Blick auf die an den Wänden stehenden Regale, die bis zur Decke reichten und mit mehr Essen gefüllt waren, als sie je zur gleichen Zeit gesehen hatte. Schinken und Zwiebeln und Blutwurst und Kohl türmten sich darin. „Dort oben sind gute Zwiebeln“ sagte Sagako, „wir werden einige kaufen und unserer Großtante mitbringen, um damit die Brühe zu verfeinern. Und die Fleischerin lächelte freundlich und sagte: „Es gibt viele verschiedene Zwiebeln in der Kiste dort oben neben dem Fässchen. Du solltest dir aussuchen, welche du willst. Ich werde euch hinauf heben, sodass ihr sie euch selbst ansehen könnt.“ Und mit erstaunlicher Kraft packte sie die Kinder an ihren Hemden zwischen den Schultern, und stemmte sie hinauf, dass sie in die Kiste mit den Zwiebeln blicken konnten. Und als sie sich herausgesucht hatten, was sie wollten, hielt die Fleischerin sie zuerst weit von ihrem Körper weg, und die Kinder lachten, beeindruckt von ihrer großen Stärke. Dann brachte sie ihre ausgestreckten Arme zusammen, auf dass die Kinder mit den Köpfen zusammenschlugen und von dem gewaltigen Stoß betäubt waren. Sie öffnete den Bottich in der Ecke des Raumes, der in Wahrheit zwar Salzlake, aber keinerlei Fleisch enthielt, und stieß sie kopfüber hinein. Dort sollten sie bleiben und reifen, bis die Youkai da war. Mit sich selbst zufrieden setzte sich die Fleischerin wieder an den Kamin, glättete ihr Kleid und zündete ihre Pfeife erneut an, während sie auf die Ankunft der Youkai wartete.