Okinadvent 2023 – 10. Türchen

Es ist der zweite Advent und Vego setzt sein Touhou-Märchen fort!

Zwei Flöten und eine Warnung

Die beiden Kinder Sagoko und Harukazu suchten noch lange nach dem Weg zum Menschendorf, um dort Fleisch zu bekommen. Der Morgen ging in den Mittag über, und die beiden fanden einen Stein in der Nähe eines zugefrorenen Bächleins, auf dem sie sich niederließen, um Kräfte zu sammeln. Sagoko öffnete ihren Rucksack und reichte ihrem Bruder eine Schüssel, die sie mit der inzwischen erkalteten Körnergrütze füllte, die die Kinder am Morgen als Proviant vorbereitet und in einem Krug mitgenommen hatten. Dann nahm sie sich selbst etwas, und die Kinder nahmen schweigend ihr karges Mahl ein. Während ihrer Rast sammelten sich einige Feen in der Nähe und vergnügten sich, indem sie auf dem Eis des Bächleins herumschlitterten. Sagoko und Harukazu sahen ihnen noch eine Weile zu, bevor sie zusammenpackten und ihren Weg fortsetzten.

Die Sonne begann bereits wieder zu sinken, als Sagoko ihren Bruder am Jackenärmel fasste und ihm bedeutete, still zu sein. „Ich glaube, ich höre jemanden“, flüsterte sie ihm zu. Gespannt hielten die beiden die Luft an, und tatsächlich war in einiger Entfernung das regelmäßige Knirschen von Schnee zu vernehmen. Die Kinder versteckten sich rasch hinter einem Baum und warteten ab, doch die Schritte schienen sich ihnen nicht zu nähern. Überhaupt schien sich die Quelle des Knirschens kaum zu bewegen. Schließlich fasste sich Harukazu ein Herz und verließ vorsichtig das Versteck, um die Quelle der Geräusche zu untersuchen, während Sagoko zurückblieb. Als er knapp außer Sichtweite des Baumes war, entdeckte er eine schmale Schneise im Schnee, neben der sich in regelmäßigen Abständen kleine Schneehaufen auftürmten. Nach einigen weiteren Schritten fand er auch die Quelle der Geräusche; Ein kleines Wesen mit langen blonden Haaren und einem blauen Kleid schwang unermüdlich eine kaum esslöffelgroße Schaufel, um die Schneise im Schnee weiter zu treiben. „Sei gegrüßt, kleine Fee, was gräbst du hier?“ versuchte sich Harukazu an das Wesen zu wenden, doch die Gestalt schien ihn zu ignorieren. Verwirrt blieb der Junge im Schnee hocken, bis sich seine Schwester zu ihm gesellte. „Eine Fee wie diese habe ich noch nie gesehen“ meinte Sagoko, „so ernsthaft und mit bedachten Bewegungen, und die Kälte scheint sie überhaupt nicht zu stören. Meinst du, wir sollten dem Pfad folgen, den sie hier gräbt?“ Harukazu sah nichts, was dagegen sprach, schließlich hatten sie sonst auch keinen Anhaltspunkt, welche Richtung sie einschlagen sollten. Also folgten die Kinder dem Pfad, den die seltsame Fee aushob, zu seinem Ursprung.

In der freigeschaufelten Schneise kamen die beiden viel schneller voran als auf ihrem bisherigen Weg durch den mehr als knöchelhohen Schnee, und bald konnten sie zwischen den Stämmen der kahlen Bäume das Dach eines Hauses mit einem kleinen, aber ausladenden Turm erkennen. Sie traten auf die Lichtung, auf der das Gebäude stand, und auf der noch mehr der feenähnlichen Geschöpfe damit beschäftigt waren, Schnee davon zu schaffen. Auf der Veranda des Hauses saß eine junge Frau, die konzentriert etwas in den Fingern drehte und immer wieder auf einem kleinen Beistelltisch nach etwas griff. Die Kinder näherten sich der Veranda und beobachteten die Frau eine weile bei ihrem Werk. Auf dem Tisch lagen fein sortiert filigrane Werkzeuge sowie eine Reihe an flachen Flöten, der sie eine weitere hinzufügte, bevor sie aufblickte. „Hallo“ sprach sie, und Harukazu erwiderte den Gruß. „Sag, warum bastelst du Flöten? Und arbeiten die Feen, die den Schnee fort schaffen, für dich?“ fragte er sodann. „Oh, dies sind keine Feen, es sind Puppen, die ich baue, um mir zu helfen. Was die Flöten angeht,“ sagte die Frau und machte eigenartige Gesten mit den Fingern, von denen jeder einen Ring trug, „ich fertige sie für jemanden, der sie an die guten Kinder in Gensoukyou verschenkt. Ich muss noch einige mehr bauen, denn es gibt viele Kinder, die sie verdienen.“ Mit diesen Worten wandte sie sich wieder ihren Materialien zu, und die Geschwister sahen zu, wie sie mit geübten Handgriffen eine weitere Flöte fertigte. Dann öffnete sich die Tür des Hauses, und zwei Puppen, die gemeinsam ein Tablett mit einer Teekanne und Tassen trugen, flogen hinaus. Diese Puppen sahen anders aus als jene, die Dach und Garten von Schnee befreiten, ihre rotblonden Haare waren unter kleinen Häubchen ordentlich hochgesteckt und sie trugen bauschige grüne Röcke. Ohne die Ankunft der Puppen zu beachten oder von ihrer Arbeit aufzusehen, wandte sich die Frau erneut an die Kinder. „Ihr seid sehr jung dafür, dass ihr hier draußen seid, weitab von anderen Menschen. Was tut ihr hier?“ Und Sagako antwortete, „Unsere liebe Großtante ist sehr krank, und wir suchen nach Fleisch für eine Brühe, damit es ihr wieder gut geht.“

Die Frau bedauerte, dass sie kein Fleisch da hatte, aber lud die Kinder ein, sich eine Weile zu ihr zu setzen und mit dem Tee, den die Puppen inzwischen in die Tassen eingeschenkt hatten, zu wärmen. Leider waren Sagako und Harukazu in die falsche Richtung gelaufen, das Dorf der Menschen würden sie an diesem Tag nicht mehr erreichen können. Es gibt aber im Wald jemanden, der immer Fleisch auf Vorrat hat. Dieser jemand, sagte sie, sei allerdings ein gefährlicher Zeitgenosse, und manche Kinder, die ihm über den Weg laufen, würden nie wieder gesehen werden. Die Kinder hatten große Angst als ihnen die Puppenmeisterin das sagte, und überlegten, ob sie nicht besser umkehren sollten. Die Frau dachte eine lange Zeit nach, während sie eine weitere Flöte fertigte, und sprach schließlich; „Ich schenke jedem von euch eine Flöte, und wenn ihr sie spielt, wird jemand sie hören. Doch spielt sie nur, wenn ihr in Not seid, und diejenige, die die Geschenke bringt, wird wissen, dass euch Gefahr droht und wird kommen oder einen ihrer Helfer schicken, um euch zu helfen. Doch blast nur einen Ton. Diese Flöten sollen nur von ihr selbst überreicht werden, wenn die Nacht des Schenkens angebrochen ist, aber ihr seid gute Kinder und eure Großtante ist krank. Ihr versucht, ihr zu helfen, und ich bin mir sicher, ich tue niemandem unrecht, wenn ich euch diese Flöten übergebe.“

So erhielt jedes der Kinder eine Flöte, und die Angst verließ sie, denn sie wussten, dass ihnen mit dieser Hilfe nichts zustoßen könnte. So verabschiedeten sie sich von der Puppenmeisterin und setzten ihren Weg fort. Lange suchten sie, doch ohne Erfolg. Es gab kein Fleisch und niemanden, der ihnen helfen konnte. Bald verließ sie der Mut, und sie fragten sich, ob die Frau die Wahrheit sprach, als sie ihnen von der Macht der Flöten erzählte. Und mit der untergehenden Sonne verließ sie auch die Hoffnung, noch Fleisch zu finden, bis sie einen der Wegsteine fanden, an deren Markierungen zu orientieren ihre Großtante ihnen beigebracht hatte. Von hier aus würden sie den Weg zur Fleischerin finden können, denn der Weg zu ihrer Hütte wäre viel zu weit. Sie hatten große Angst, und doch war dies die einzige Möglichkeit, diese Nacht nicht im Wald verbringen zu müssen und ihrer Großtante helfen zu können. So schlugen sie also den Weg ein, den die Puppenmeisterin ihnen genannt hatte, um die Fleischerin zu erreichen.